Mentalisieren als Haltung und Kompetenz

Mentalisieren ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten und/oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren und sich im sozialen Kontakt angemessen darauf abzustimmen. Mentale Zustände sind Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche, Einstellungen und Überzeugungen, sie werden als die Ursache von Handlungen verstanden. Das zugrundeliegende Menschenbild geht davon aus, dass es sich bei den mentalisierten Gedanken lediglich um eine Repräsentation (= Vorstellung, im Geist abgebildet) von Wirklichkeit handelt, die Annahmen müssen nicht der Realität entsprechen – Jeder Mensch konstruiert seine eigene Wirklichkeit.

Die Fähigkeit zu Mentalisieren ist einzigartig für die Spezies Mensch. Das „soziale Gewissen“, Altruismus und Hilfsbereitschaft werden z.T. auf sie zurückgeführt. Die Entwicklung der grundlegenden Fähigkeiten beginnt in den ersten Lebensmonaten, sie können im Alter zwischen 4 und 6 Jahren als voll ausgebildet betrachtet werden.

Effektives Mentalisieren dient der Orientierung und Kontrolle in der interpersonellen Kommunikation und Beziehungsgestaltung, der eigenen Emotions- und Aufmerksamkeitsregulation und dem Erwerb größerer emotionaler und sozialer Kompetenz. Je häufiger es einer Person gelingt, die mentalen Zustände ihres Gegenübers zutreffend zu erfassen, desto besser kann sie sich auf die soziale Umwelt einstellen und mit ihr interagieren. Die Handlungen anderer werden vorhersehbar und die Abstimmung aufeinander im sozialen Kontakt gelingt eher (Synchronisation).

FONAGY nennt dies die interpersonale Interpretationsfunktion:  IIF (FONAGY 2002).

Gelingt deren Entwicklung, zeigen sich bindungssichere, emotional stabile und sozial kompetente Persönlichkeiten. Gelingt sie nicht oder bruchstückhaft, zeigen sich bindungsunsichere Persönlichkeiten mit Anpassungs- und psychischen Störungen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen wie Borderline-Syndrom oder Narzissmus.

Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit

Voraussetzung ist, dass das Kind lernt, sich selbst als handelnde Person, als Urheber von eigenen und fremden Handlungen wahrzunehmen. Wenn das Kind sich selbst psychisch wahrnehmen soll, muss es von den Bezugspersonen als Psyche wahrgenommen werden. Dies hat Einfluss auf die psychischen Funktionen und die Wahrnehmung von Beziehungen. Hierbei sind Nähe und Austausch (Intersubjektivität) die wesentlichen Faktoren. „Spielfeld“ ist ein komplexes auszubalancierendes Zusammenwirken von Regulierung der Emotionen, Aufmerksamkeitskontrolle und mentalisierenden Fähigkeiten der Bezugsperson in einer sicheren Bindung.  Diese befähigt das Kind, den Erregungszustand seines ZNS auf einem optimalen Niveau zu halten. Mit zunehmender Fähigkeit zum Mentalisieren werden mentale Zustände differenzierter wahrgenommen. Am Ende können soziale Interaktionen (Emotionen, Wünsche, Überzeugungen) beiderseits erklärt werden und das Kind besitzt Konzepte über innere Zustände als Repräsentation von physischen, kognitiven und verhaltensmäßigen Erfahrungen.

Weitere Informationen über die einzelnen Entwicklungsstufen der Mentalisierungsfähigkeit finden Sie hier

Mein nächstes Seminar zum Thema Mentalisieren findet am 05.11.2024 online statt.