Bedürfnisorientierte Pädagogik

Neben autoritären, antiautoritären und behavioristischen Ansätzen wird in den letzten Jahren vermehrt die bedürfnisorientierte Pädagogik diskutiert. Oft wird sie auch mit der bindungsorientierten und der eher psychoanalytisch ausgerichteten  mentalisierungsbasierten Pädagogik in Verbindung gebracht.
Gemeinsam ist diesen drei Richtungen die Konzentration auf die Bedürfnisse des Kindes anstatt auf das alleinige Steuern seines Oberflächenverhaltens. Wo der behavioristische  Ansatz vorwiegend die auf das Verhalten folgenden Konsequenzen in den Blick nimmt, betrachtet der bedürfnisorientierte Ansatz die auslösenden, hinter dem Verhalten liegenden Gefühle und Bedürfnisse des Kindes. Es wird davon ausgegangen, dass diese die Motivation für sein Verhalten sind und von dem Kind auf seine persönliche Art und Weise auf der Handlungsebene artikuliert werden.

Für die erziehenden Erwachsenen ist es daher vorrangig, aus den Verhaltensmustern des Kindes und dem Situationskontext empathisch die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes zu erschließen und diese wohlwollend in die Kommunikation einzubringen.

Wird das Verhalten des Kindes als nicht akzeptabel betrachtet, ist es ihre Aufgabe, ihm Möglichkeiten aufzuzeigen, wie es sein Bedürfnis auf eine für den Kontext akzeptable Art und Weise befriedigen kann. Das Kind lernt daraus für die nächsten ähnlichen Situationen, wenn dies wertschätzend und verstehend kommuniziert wird.

In diesem Zusammenhang wird häufig die Frage gestellt, was Bedürfnisse sind.
Ich ziehe dazu gerne die Bedürfnispyramide von MASLOW heran, die die menschlichen Grundbedürfnisse auf eine dynamische Art und Weise und mit einem inneren Zusammenhang beschreibt. In der Motivationsspychologie bestehen jedoch mehrere Modelle (u.a. DECI&RYAN, BRAZELTON, GRAWE) zur Darstellung von Grundbedürfnissen.
Die sozialen Grundbedürfnisse, die nach neueren, vor allem neurowissenschaftlichen, Erkenntnissen (u.a. BAUER 2005)  Vorrang vor allen anderen Bedürfnissen haben, stehen in einer engen Verbindung mit dem Konzept der Feinfühligkeit von AINSWORTH und stellen damit eine Verbindung zur Bindungstheorie her. Ebenso sind sie deckungsgleich mit den Elementen der Basiskommunikation, wie sie von TREVARTHEN und BIEMANS in die videobasierte Beratung VHT eingeführt wurden.

In der konkreten Erziehungssituation zeigen sich die Grundbedürfnisse oft als augenblickliche Wünsche des Kindes. Werden diese als Ausdruck eines Grundbedürfnisses zurückverfolgt und verstanden, kann das Kind positiv gelenkt und geleitet werden, indem einerseits das Bedürfnis wohlwollend benannt und danach eine Möglichkeit aufgezeigt wird, wie dieser Wunsch zur gemeinsamen Zufriedenheit erfüllt werden kann. Je jünger das Kind ist, desto eher kommen die Vorschläge von den Erwachsenen. Mit zunehmendem Alter kann es auch selbständig Lösungen entwickeln.

Die Erfahrung zeigt, dass Kinder (und auch Erwachsene!) bereit sind, die Alternative anzunehmen, wenn das Bedürfnis vorher wohlwollend benannt wurde.

Mit einem Missverständnis gilt es aufzuräumen: Der bedürfnisorientierte Erziehungsansatz  verzichtet nicht auf das Lenken und Leiten des Kindes. Erziehung beinhaltet immer auch die Komponente des Lernens, der Veränderung und Entwicklung, also des Führens.

Die Aufgabe der Erwachsenen ist es dabei, dem Kind in einer wertschätzenden und verstehenden Beziehung zu ermöglichen, in eine Welt hineinzuwachsen, in der es  sein Leben bindungssicher, resilient und unter Nutzung  seiner Potenziale gestalten kann.

Weitere Informationen:

Die Studienarbeit von Jennifer Wesemann (2018). Hier ist viel über die Entstehung des Ansatzes zu erfahren

Mein Artikel „Wie Perlen auf einer Schnur…“ (2015). Hier ist ein ausführliches Beispiel nachzulesen.

Zum Unterschied zwischen Bedürfnissen und Wünschen, ein Arbeitsblatt von mir aus dem Jahr 2018